Wie geht es dir?

Höfliche Begrüßung oder plumpe Anmache? Wie auch immer man diese populäre Einstiegsfrage empfindet, die meisten haben sofort eine passende Antwort parat, oft wie aus der Pistole geschossen. Mich dagegen, als eher ernsthafter Mensch, hat diese Frage häufig in Verlegenheit gebracht.

Vier kleine Wörter und ein Fragezeichen. Ein paar Buchstaben, die es in sich haben. Äußerlich korrekt verpackt, konnten sie bei mir leicht ein Gefühl des Gedrängtseins auslösen, so manches Mal verunsichern.

Inzwischen habe ich das abgekartete Spiel mit verteilten Rollen entlarvt, kann problemlos mithalten. Gesellschaftskonform, natürlich. Wie mir das gelingt, ohne dass ich mich verbiegen muss, fasse ich hier zusammen.

Doch der Reihe nach. Das Telefon klingelt. Ich geh ran, nenne pflichtbewußt meinen Namen. „Guten Tag, Herr Münch, ich grüße Sie, wie geht es Ihnen?“ säuselt eine Stimme aus dem Telefonhörer. Als ernster Mensch bin ich erst mal baff, fühle mich genötigt, gedrängt. Wie bloß soll ich antworten? Sage ich „danke, gut“, dann müsste ich lügen. Denn mir gehts grade alles andere als gut. Oder die Frage einfach übergehen? Empfände ich als unhöflich. Introvertierte legen Wert auf gute Umgangsformen. Da mache ich keine Ausnahme. Eine winzige Frage, die man mir stellen muss, und schon stecke ich fest, gefangen in einer inneren Zwickmühle. Zugegeben, die Situation ist überspitzt, doch bringt sie ein grundlegendes Muster prima auf den Punkt.

Begrüßungszeremonie als Ritual

Tatsächlich handelt es sich bei dieser Begrüßungszeremonie um ein festes Ritual, einem abgekarteten Spiel gleich, in dem allen Beteiligten stillschweigend die Regel akzeptieren, dass die Frage keinesfalls ernst gemeint ist. Meistens jedenfalls.

Bis ich das geblickt hatte, sind viele Jahre ins Land gegangen. Die überwiegende Mehrheit der Leute hat diese Erkenntnis vermutlich mit der Muttermilch aufgesogen, Ich dagegen musste mich mühsam darin üben. Akzeptieren, dass auch hierzulande lediglich oberflächliche Floskeln ausgetauscht werden, ähnlich wie das englische Muttersprachler pflegen, wenn sie sich mit „how are you?“ guten Tag sagen. Bei denen erwartet auch niemand eine ehrliche Antwort,

Für die meisten einfach zu beantworten, bringt eine einfache Frage Introvertierte zum Grübeln

Dennoch bin ich immer wieder erstaunt wie locker-flockig extrovierte Zeitgenossen die ungeschriebenen Regeln beherrschen. „Klaro, top – und bei Dir, alles fit im Schritt?“ hauen sie etwa lässig und unbeschwert raus, schaffen so eine gelöste Atmosphäre, von Anfang an. Verblüffend, wie authentisch das bei denen wirkt.

Mögen die lockeren und selbstsicheren Worte noch so anziehend wirken, und gäbe ich mir alle erdenkliche Mühe; als stiller und sensibler Mann hätte ich nicht den Hauch einer Chance, das attraktive Verhalten zu kopieren. Etwa indem ich probiere, die laxen Sprüche nachzuäffen. Selbst der zarteste Versuch würde befremdlich wirken, auf andere, mehr noch auf mich selbst.

Passende Antwort gesucht

Wie also kann ich antworten, ohne mich zu verbiegen? Einfach nur „Danke gut – und selbst?“ zu entgegnen, das kann ich nicht. Will ich auch nicht. Erst recht nicht, wenn ich schlecht drauf bin.

Weitergeholfen hat mir zunächst die Erkenntnis, dass ich nicht auf die Frage antworten MUSS. Die Pflicht habe ich mir jahrelang selber auferlegt, stets wahrheitsgemäß Rede und Antwort stehen zu müssen.

Um aus diesem selbst gestrickten Dilemma rauszukommen, habe ich eine wunderbare Weisheit in der jüdischen Kultur entdeckt, die ich schätze und liebe: „Warum erwidern Juden eine Frage oft mit einer Gegenfrage?“ Antwort: „Warum sollten sie nicht?“

Vor allem aber habe ich inzwischen gelernt, zu unterscheiden, wer, wann, wie, vor allem warum jemand so fragt. Im Beispiel mit dem Telefonat, das ich am Anfang erzählt habe, wo sich ein fremder Mensch so platt nach meinem Befinden erkundet, ist mir inzwischen klar, dass er mir nur eine Floskel an den Kopf wirft. Da habe ich keine Skrupel mehr, kontere: „Danke der Nachfrage, und selbst?“ Komme mir zwar ein wenig frech dabei vor, fühlt sich aber richtig an. Denn eigentlich ist es genau andersrum. Im Grunde ist es unverschämt, wenn ein wildfremder Mensch wissen will, wie es mir geht.

Daher stelle ich selbst diese Frage nie. Auch denen nicht, die mir echt am Herzen liegen. Von ihnen weiß ich genau, wo der Schuh drückt. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Hier sind wir Introvertierten übrigens klar im Vorteil. Wie ich mich bei wildfremden oder – ganz im Gegensatz dazu – sehr vertrauten Menschen verhalte, ist damit auserzählt.

Die weitaus meisten Begrüßungszeremonien spielen sich in völlig alltäglichen Situationen ab. Vielfältige Beziehungen zu Nachbarn, Sportkameraden, mehr oder weniger guten Freunden. Oder flüchtige Bekannte, man kennt sich, winkt freundlich über die andere Straßenseite, hat möglicherweise sogar die eine oder andere Sorge geteilt. Wie also antworten, wenn von ihnen jemand das Gespräch mit der Gretchenfrage öffnet: „Wie geht es dir?“

Oft genügt ein Blick in die Augen

Oft genügt ein Blick in die Augen. Die verraten meist mehr als viele Worte. In der Regel spüre ich sehr genau, dass der andere mir am liebsten folgende Frage stellen würde: „Geht es Dir so gut, dass Du bereit bist, mir zuzuhören?“ Wenn ich tatsächlich bereit bin, dann antworte ich genau so, Zumindest sinngemäß.

Oft genügt ein Blick in die Augen, um zu wissen, wie es dem anderen geht.

Wann immer ich mir nicht so sicher bin, dann hat sich folgende Reaktion bewährt: „Es geht mir zwar nicht gut, aber gut genug, um jetzt etwas miteinander plauschen zu können. Oder bei einer Verabredung: „Naja, geht so… Immerhin gut genug, damit wir jetzt das tun können, was wir uns vorgenommen haben.“ Diese Standardantwort kommt mir inzwischen automatisch über die Lippen. Meine ganz private Floskel, sozusagen. Funktioniert immer.

Empfindlich dagegen reagiere ich, wenn ich zwischen den Zeilen aus der scheinbar höflichen Frage raushöre, wie jemand klammheimlich hofft, mich jammern oder klagen zu hören. Möglicherweise um sich selber gut zu fühlen. Gibt so Leute, die sich an negativen Botschaften ergötzen, Kommt erfreulicherweise selten vor. Solchen Zeitgenossen gehe am liebsten von vornherein aus dem Weg. Wo das nicht klappt, tue ich demjenigen nicht den Gefallen, mich geistig auszuziehen.

Ab und zu kommt es auch vor, zumindest habe ich manchmal den Eindruck, dass mir Menschen besagte Eingangsfrage stellen, weil sie sich insgeheim wünschen, dass ich genau das tue, was sie sich selber wünschen, nämlich dass ich mich aufrichtig nach ihrem Befinden erkundige. Projektion nennen die Psychologen dieses Verhaltensmuster. Auch in solchen Situationen ist Feingefühl erforderlich, muss in mich reinhorchen. Will ich das? Bin ich tatsächlich bereit, dem anderen zuzuhören? Seelische Hygiene heißt das Schlüsselwort.

Begrüßungsritual als Lernfeld

Lange Zeit habe ich mit etwas Neid auf die Extrovertieren geblickt, wie sie mühelos jeden Gesprächseinstieg parieren. Hätte mir zumindest gewünscht, locker vom Hocker antworten zu können wie die meisten Menschen. Immerhin, anhand dieses scheinbar unbedeutenden, doch herausfordernden Frage „Wie geht es Dir?“, durfte ich etwas Entscheidendes lernen.

Was mir viele Jahre Kopfzerbrechen bereitet hat, erlebe ich inzwischen als faszinierende Spielwiese, weiß zu schätzen, dass ich als introvertierter Mensch über das Vorrecht verfüge, mit feinem Gespür einzelne Situationen analysieren zu können- um so manches Mal überraschende Antworten geben zu können. Es war ein langer Weg dahin. Doch er hat mir geholfen, und ich möchte ihn keinesfalls missen. Heute bin ich froh und dankbar akzeptieren zu können, dass ich zu den Stillen und Sensiblen gehöre. Und falls jetzt jemand auf die Idee kommt, zu fragen, wie es mir geht- danke, ganz gut.

Und wie immer freue ich mich natürlich über Kommentare und konstruktive Kritik.


11 Antworten zu „Wie geht es dir?“

  1. Avatar von Mim | still & sensibel
    Mim | still & sensibel

    Oh, Markus, dieser Artikel spricht mir SO aus der Seele! Ich weiß nie, was ich antworten soll, wenn mich jemand fragt, wie’s mir geht. Insbesondere natürlich dann, wenn es mir nicht gut geht. Und lügen kann ich in so einer Situation auch nicht. Das würde sich völlig falsch anfühlen. Ich bin (meistens) ein sehr ehrlicher Mensch, aber dass mit „Wie geht’s dir?“ ein Gespräch eröffnet werden soll und sich die Person nicht wirklich für mein Befinden interessiert, habe ich lange Zeit nicht gewusst. Und als ich es gelernt habe, war ich erst recht überfordert damit.

    Deine „Technik“, diese Frage zu beantworten, finde ich höchst interessant und inspirierend. Das muss ich mir unbedingt merken und beim nächsten Mal ausprobieren.

    Danke dafür! 🙂

    Es grüßt dich
    Mim

  2. Avatar von Markus Münch
    Markus Münch

    Vielen Dank, liebe Mim,

    freue mich sehr über Deinen Kommentar!

    Er hilft mir, letzte Zweifel auszuräumen, ob es tatsächlich angemessen ist, ein so banales Thema bis in die letzte Ecke auszuwalzen.

    Schön auch zu lesen, dass Du Anregungen darin wiederfindest, die Du beim nächsten Mal ausprobieren möchtest. Sei gespannt 🙂

    Herzliche Grüße, Markus

  3. Avatar von Sabine
    Sabine

    Lieber Markus,
    wieder mal ein sehr gelungener Artikel von dir. Bei uns im Ruhrgebiet geht das so:
    „Wie geht‘s?“
    „Muss….“
    Und damit ist die Sache durch.
    Liebe Grüße Sabine

    1. Avatar von Markus Münch
      Markus Münch

      Liebe Sabine,

      vielen Dank für diese geniale Gegenrede aus dem Ruhrpott!

      Superkurz, doch alles gesagt. Zumindest zwischen den Zeilen. Da überlege ich doch glatt, das reinzunehmen in den Text.

      Oder noch besser, möglicherweise gibt es in anderen deutschen Regionen ähnlich kurze und kecke Floskeln, dann mache ich da ein Best-of draus 🙂

      Beste Grüße aus Kiel, Markus

    2. Avatar von Stefanie Dr. med. Jürgens
      Stefanie Dr. med. Jürgens

      🫶🫶🫶🫶🫶

      High Five für diesen sensationellen Kommentar meiner Cousine auf den Beitrag meines Cousins – . ja und ich freu mich irgendwie sehrsehr, dass es anderen Menschen genauso geht mit dem „nachdem wie es geht gefragt werden.. da gibt es die einfachen, die immer sagen: tipptopp, alles läuft wie geplant und, im nächsten Sommer Urlaub muss ich meinen Tauchkurs auffrischen. lassen damit ich das Zertifikat nicht verliere. aber das sind ja ja die leichteren Fälle:. yBei vielen ist es so . dass man sich entweder gar nicht traut zu fragen, wie es Ihnen geht, weil man bereits weiß, dass es Ihnen so derart scheiße geht, dass es für Halb Mittel-Europa reicht ->!
      dann hat man ein Problem, Wie auch immer man das Gespräch weiterführt. Es wird Zeit brauchen. .

      ich bin in den letzten Jahren dazu übergegangen zu fragen. Hi schön dich zu sehen – läuft bei Dir? und da sind meine Erfahrungen, dass ich sage okay mit dieser Frage kann man nicht. In diese „geht es dir gut Floskel ja“- Abteilung abtauchen
      sondern da muss man sich auch, wenn’s gerade gar nicht passt und ganz viele Termine warten für diesen einen speziellen Menschen Zeit nehmen.

  4. Avatar von Karsten
    Karsten

    Schöner Artikel, Markus!

    Ich bin extrovertiert und sensibel. Eine andere Antwort auf die Frage, „wie gehts“, als eine Standardfloskel, käme bei mir durchaus gut an…nur weiß mein Gegenüber das natürlich nicht. 😀.

    Ich fürchte viele Menschen verstehen nicht einmal, warum du dich mit der Frage beschäftigst; obwohl stimmt das eigentlich, oder ist auch das nur (m)eine unsensible Anmaßung?

    So oder so danke für die Anregung zum Denken.

    1. Avatar von Markus Münch
      Markus Münch

      Vielen Dank, Karsten, für Deinen interessanten Kommentar!

      Freut mich sehr, dass meine Gedanken Dich zum Weiterdenken anregen konnten.

      Angenehm überrascht bin ich zudem, dass jemand von sich selbst sagt, er sei extrovertiert und sensibel zugleich. Das korrigiert meine bisherige Vorstellung, wie es sich wohl anfühlen mag, wenn man extrovertiert ist.

      Dass viele Menschen nicht einmal verstehen, warum ich mich mit der Frage so eingehend beschäftige, damit triffst Du den Nagel auf den Kopf. Das habe ich im Beitrag versucht, deutlich zu machen. „Die überwiegende Mehrheit der Leute hat vermutlich mit der Muttermilch aufgesogen, dass es sich um nichts weiter handelt als eine Floskel.“

      Wer von klein auf nur die Leichtigkeit der Begrüßungsformeln kennt, der weiß nichts von der Ernsthaftigkeit, die für mich lange Zeit damit verbunden waren. Und ja, es stimmt, dass ich mich durch die Frage „Wie geht es Dir?“ tatsächlich oft bedrängt gefühlt habe. Andernfalls wäre der Artikel nie entstanden. Warum auch sonst?

      1. Avatar von Karsten
        Karsten

        Ich habe über mein „extrovertiert“ nach meinem Post noch einmal nachgedacht und muss sagen, dass ich es gerne gegen ein „ich verhalte mich extrovertiert“ tauschen möchte. Oder anders, ich persönlich möchte mit bestimmten Begrifflichkeiten vorsichtig umgehen. 😀

        Es gibt aus meiner Sicht viele Grautöne zwischen den genannten Definitionen.

        1. Avatar von Markus Münch
          Markus Münch

          👍

  5. Avatar von Vera Fischer
    Vera Fischer

    Hallo Markus,

    das Thema, die du in deinem Schriftstück behandelt hast, ist so banal und alltäglich und zugleich irgendwie unheimlich essetiel! Mit der „Begrüßung“ hatte mich auch öfters in Gedanken auseinandergesetzt hatte und jedes mal mich das gleiche wie du gefragt: Wie ernst ist eigentlich diese Frage gemeint, muss ich die erhlich beantworten und überhaupt beantworten?…Es ist schon eine Frechheit einen Menschen mit solchen recht persönlichen Fragen zu konfrontieren, finde ich.
    Und genau wie du, war und bin ich immer verlegen. Allerdings habe ich wie du auch mich eintrainiert das Ritual mit zu machen.
    In meinem inneren bleibt nach dieser Fragesteellung immer wieder ein schlechter Beigeschmak, wenn die Frage von einem Ungekannten kommt. Ich weiß nicht warum, irgendwie habe ich von so einem Menschen ein schlechtes Bild und manchmal höre ganr nicht mehr zu, was gesprochen wird und desozeiere etwas. Das Interesse an diese Person verschwindet.

    So viel zu deinem Gedankenfluß…

    Lieber Gruß

    1. Avatar von Markus Münch
      Markus Münch

      Liebe Vera, vielen Dank für Deinen bereichernden Kommentar! Vor allem mit dem Beigeschmack hast Du eine treffende Beschreibung gefunden, die ich auch so erlebt habe.

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