Heute ist Europatag. Stichwort genug für ein kurzes persönliches Resumee, eine theoretische Überlegung und was mich nachdenklich stimmt. Was mir als erstes durch den Kopf habe ich mich gefragt. Die Antwort fällt leicht. Ich finde es schön, hier zu Hause sein zu dürfen.
Wohl kaum ein anderer Erdteil präsentiert sich landschaftlich so vielfältig, ist so reich an unterschiedlichen Kulturen, darf auf eine gemeinsame Geschichte zurückblicken, namentlich die Geschichte des christlichen Abendlandes. Eine Geschichte aber auch, die viel, sehr viel Leid gebracht hat.
2000 Jahre Schicksalsgemeinschaft
Doch was ist geworden in zweitausend Jahren Schicksalsgemeinschaft Europa? Zunächst tut es gut, sich erinnern zu dürfen, dass Politiker wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer nach dem zweiten Weltkrieg einen dauerhaften Frieden fest im Blick hatten.
Sie waren überzeugt, dass das nur gemeinsam geht. Auch Kohl und Mitterand waren sich der politischen Verantwortung bewusst. Spätestens 1984 in Verdun haben die beiden Staatschefs das der Öffentlichkeit in einer ergreifenden Geste deutlich gemacht. Da ging es um mehr als tiefgreifende Versöhnung. Hand in Hand unterstrichen sie ihren Willen weiter am europäischen Haus zu bauen. Ein Bild, das mich berührt.
Wirtschaftlicher Handel als Garant des Friedens
Eine einzige, einfache, doch entscheidende Wahrheit war den Gründungsvätern von Anfang an klar. Nationen, die regen wirtschaftlichen Austausch und Handel miteinander treiben, führen keinen Krieg gegeneinander. Doch welche Spielregeln für den Handel sollen gelten? Ein gemeinsamer Staat? Ein Europa der Vaterländer? Wieviel Souveränität sollen die Länder behalten?
Schlüsselfragen, bei denen die Meinungen weit auseinander gingen und gehen. Erfreulicherweise passieren die Diskussionen um die beste Lösung stets unter demokratischen Vorzeichen. Nun leben wir im Haus der Europäischen Union unter einem Dach, auf einem Fundament, das weit vorausblickende Politiker vor siebzig Jahren gelegt hatten.
Eine bunte Truppe unter einem Dach
27 Länder und 24 Sprachen in einer Wohngemeinschaft. Kein Wunder, dass es da regelmäßig rumpelt. Und schwerfällig das Ganze, Verordnung hier, Verordnung da. Bürokratie in jeder Ecke, Vorschriften türmen sich bis unter die Decke. Ist ja auch kein Wunder. Wie in einer echten WG will jeder gefragt werden, und irgendeiner hat immer was zu meckern.
Bei allen Reibereien ist und bleibt die EU eine freie Wohngemeinschaft. Wer ausziehen möchte, der darf das tun. Schade, dass die Briten gegangen sind. Diese Sturköpfe. Aber ich kann’s verstehen. Wenn mir in einer WG die Spielregeln nicht mehr gefallen, dann würde ich auch eine andere Wohnung suchen. So ist das in einer freien Demokratie.
Freiheit gehört verteidigt
Ach überhaupt, die Freiheit. DAS Thema schlechthin. Freiheitswerte hier, Freiheitswerte da. Die selbstverständlich verteidigt werden müssen. Und ja, es stimmt, es fühlt sich für mich frei an, wenn wir einfach so mal rüber fahren können nach Dänemark, an einen der herrlich breiten Strände. Einfach so. Keine prüfenden Blicke von Grenzbeamten, keine kilometerlangen Staus vor trennenden Schlagbäumen. Oder zum Urlaub nach Österreich in die schönen Alpen. Vorher D-Mark in Schillinge tauschen? Überflüssig.
Zwei kleine Beispiele für liebgewonnene Freiheiten, die ich nicht mehr missen möchte. Reise- und Arbeitsfreiheit, oder enge wirtschaftlichen Verflechtungen, das sind nur einige wenige Freiheitswerte, die unbedingt verteidigt werden müssen. Nach innen und nach außen.
Ein Gedankenspiel
Doch frage ich mich manchmal, ob folgendes Gedankenspiel einen gewissen Charme hätte. Wenn sich alle Länder der EU in Sachen innerer und äußerer Sicherheit einig wären. Alle gemeinsam ausziehen aus der Nato. Alle zusammen eine einzige, eine gemeinsame Armee. Und die wird nur in Marsch gesetzt, um Europa im Falle eines Falles zu verteidigen. Ansonsten strikt neutral. Leider ist das realitätsfern. Doch ein Gedankenspiel ist es wert, oder?
Hinzu kommt ein Gedanke, der sich mir angesichts des aktuellen Kriegs in der Ukraine beschäftigt. Den Gründungsvätern der Europäischen Union war klar: Wer Handel treibt, führt keinen Krieg. Wirtschaftssanktionen dagegen beschränken den freien Handel. Sie könnten geeignet sein, das Gegenteil von Frieden zu bewirken.
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